Was sind Stammbücher?

Stammbücher (Alba Amicorum) sind buchförmige Sammelmedien, in denen Stammbuchhalter handschriftliche Einträge befreundeter oder bekannter Personen gesammelt haben. Diese Einträge, die nicht selten bebildert sind, folgen bestimmten Strukturmustern (siehe unten).

  • Form: Stammbücher weisen in aller Regel Buchform auf oder imitieren sie. Basis sind entweder Drucke mit vor- und nachgebundenen leeren Lagen, mit Leerblättern durchschossene Druckwerke, Blankalben oder Loseblattsammlungen mit weißen oder bedruckten Blättern in buchförmigen Kassetten. Während in der Frühzeit auch größerformatige Alben vorkommen, hat man bis ins 19. Jahrhundert überwiegend kleine Formate (Oktav, Queroktav, Sedez) bevorzugt.
  • Umfang: Stammbücher können zwischen einigen wenigen und mehreren hundert Einträgen umfassen. Sie werden gelegentlich durch (meist unzuverlässige) handschriftliche Indices erschlossen.
  • Halter: Die überwiegende Mehrzahl der Albumhalter bis um 1800 stammt aus dem akademisch-universitären Milieu. Studenten legten sich Stammbücher bei Antritt ihres Studiums zu, führten sie auf ihren oft weiten Bildungsreisen mit und beendeten die Sammeltätigkeit oft nicht sehr lang nach ihrer beruflichen Etablierung. Auch in gesetzterem Alter wurden aber immer wieder Alben geführt, wenn die Halter beruflich oder aus anderen Gründen zu Reisen oder häufigeren Ortswechseln gezwungen waren. Neben der städtischen und höfischen Bildungsschicht und dem Adel lassen sich früh auch immer wieder Stammbücher von Mitgliedern künstlerischer und kunsthandwerklicher Berufe oder von Handelsleuten feststellen; seit Ende des 18. Jahrhunderts griff die Sitte auch auf das Kleinbürgertum und kleinere Ortschaften aus.
  • Einträger: Um Einträge wurden traditionell Höhergestellte und Gleichrangige gebeten, mit denen man in lockere Bekanntschaft geraten war. Erst in neuerer Zeit beschränkte sich der Inskribentenkreis in erster Linie auf die Familie des Haltes und engere ‚Freunde’ im emphatischen Sinne.
  • Gebrauchssituationen: Stammbücher wurden oft in Universitätsstädten, in großen Handelsstädten und an Höfen geführt. Sie begleiteten ihre Halter nicht selten auf Reisen quer durch Europa und darüber hinaus. Traditionell galten sie als Mittel, mit den Honoratioren der besuchten Orte ins Gespräch zu kommen. Von namhaften Gelehrten der Frühneuzeit sind deshalb oft zahlreiche Inskriptionen in verschiedenen Alben erhalten. Einträge von Kommilitonen wurden oft kurz vor Verlassen der jeweiligen Universität gesammelt, wobei nicht selten zahlreiche Inskriptionen an einem Tag erbeten und geleistet wurden. Sie dokumentieren punktuelle Bekanntschaftsverbindungen, die sich mitunter, aber nicht zwangsläufig zu Beziehungsnetzwerken intensivieren konnten.
  • Funktionen: Stammbücher wurden der Selbstaussage ihrer Halter zufolge in erster Linie angelegt, um darin ‚Freundschaften’ und Bekanntschaften zu dokumentieren, an die man sich später zurückerinnern wollte. Darüber hinaus dienten sie aber auch der Selbstdarstellung ihrer Besitzer, die mit prominenten Einträgen oder kunstvollen Bildbeigaben prunken, ihre wechselnden Aufenthaltsorte belegen und ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten (intellektuellen, künstlerischen, ‚burschikosen’ o.ä.) Milieu zeigen wollten. In gleicher Weise waren sie für die Einträger ein beliebtes Mittel, Bildung, Status oder vermeintliche charakterliche Dispositionen oder weltanschauliche Überzeugungen in einer Weise festzuhalten, die ihnen erinnerungswürdig schien. Die Inskriptionen dienten in Inhalt und Form also vor allem auch der Steuerung künftiger Memoria im Sinne des Einträgers.
  • Geschichte: Die Stammbuchsitte weist zwei wichtige Traditionslinien auf. Die eine geht auf die Praxis spätmittelalterlicher Gästebücher im adeligen Milieu zurück. Die andere ist in den 1530er Jahren im Umfeld der Wittenberger Reformatoren entstanden. Beide Traditionslinien gingen im 16. und frühen 17. Jahrhundert in der akademisch-humanistischen Stammbuchsitte auf, die sich für gut 200 Jahre dominant erweisen sollte. Im Laufe der Zeit haben verschiedene Milieus, soziale Schichten und Altersgruppen die Sitte aufgegriffen. Späte Ausläufer sind die heutigen ‚Poesiealben’ von Kindern.
  • Abgrenzung: Stammbücher sind nicht zu verwechseln mit Sammlungen von Personenstandsurkunden (‚Familienstammbücher’) oder genealogischen Aufzeichnungen bestimmter Familien (‚Familienbücher’, ‚Geschlechterbücher’), die gelegentlich ebenso bezeichnet werden. Alba Amicorum dienen nicht genealogischen Zwecken, können aber sehr wohl genealogisch und heraldisch aussagekräftiges Material enthalten.

Zuletzt aktualisiert am 2018-06-15 von Tobias Bauer.

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